“Darauf sollten sich Maschinen- und Anlagenbauer einstellen!”


Welchen Einfluss hat das auf Automatisierungssysteme?

“Die einzelnen Produktionsstationen werden kleiner und dafür zahlreicher, nicht im Gesamten, sondern die Segmente”, erläutert Jendryschik und macht dies anhand eines Beispiels deutlich: “Wenn man dies einmal in Leistung ausdrücken würde, könnte man sagen: Eine Blechstraße hat heute 500kW Antriebsleistung. In Zukunft hat sie vielleicht nur 100kW Antriebsleistung, dafür stehen jedoch fünf Stück nebeneinander, weil sie so viele Varianten herstellen muss, dass die Unternehmen lieber mit fünf kleinen Blechstraßen arbeiten als mit einer großen. Dieser Trend wird weiter anhalten; es wird kleinere, dafür mehr Produktionszellen geben.” Die Anforderungen, die sich daraus für die Automatisierungshersteller ableiten sind für Jendryschik klar: “Es werden hochflexible, hochautomatisierte und hochsynchronisierte Bewegungsprozesse benötigt, mit immer kleineren Leistungen, weil keine Großserien mehr produziert werden, sondern Einzelstücke. Dazu werden immer mehr Bewegungsachsen gefordert sein, die koordiniert werden müssen. Das alles erhöht die Anforderungen an die Kommunikationssysteme und deren Fähigkeit der Synchronisierung von Bewegungen. Auch die Anforderungen an die Sensoren wird steigen. Diese sind derzeit noch nicht in der Lage, ihre Primärdaten direkt an die Cloud weiterzugeben, was für das Prozessrouting jedoch von großer Bedeutung wäre. Das wissen die Sensorhersteller auch und sie arbeiten an entsprechenden Lösungen”, so Jendryschik. Kleinere Zellen machen eine schnellere Zellenverkettung notwendig. Ein cloudbasiertes Produktionssystem steuert in diesen Szenarien von Jendryschik das Routing durch die Produktionszellen. Dadurch muss auch diese Kommunikation mit den erhöhten Anforderungen Schritt halten können. “TSN ist sicherlich eines der Protokolle, das dabei in der Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird”, prognostiziert der Experte. Dass eine prozesskritische Produktionscloud entfernt im Internet liegt, glaubt Jendryschik hingegen nicht: “Das ist derzeit weder technisch noch psychologisch sinnvoll.” Die Steuerungstechnik wird nach seiner Meinung hingegen immer dezentraler organisiert werden. Dadurch, dass es immer kleinere, dafür zahlreichere Produktionseinheiten geben wird, werden mehr, aber kleinere Steuerungen benötigt, die dann wiederum hochsynchron zu anderen Zellen arbeiten können müssen. Zentralen Steuerungsansätzen räumt Jendryschik hingegen keine große Chancen ein. “Die Autonomie der einzelnen Teile einer Produktionslösung wird immer weiter zunehmen und die einzelne Achse wird immer intelligenter werden,” prophezeit Jendryschik.

Ende der Massenfertigung?

Bringt die Industrie 4.0 das Ende der Massenfertigung? “Sicher nicht”, sagt Jendryschik. Er geht davon aus, dass zunächst die jeweiligen Produkte im oberen Preisdrittel von der Individualisierung erfasst werden: “Es ist eine Frage der Kosten.” Aus dieser Sicht werden Produktionsstandorte wie im Niedriglohnsektor nicht bedroht sein. Die Individualisierung wird sich also zunächst im oberen Preissegment abspielen. “Ich glaube nicht, dass in kurzer Zeit eine Massenproduktion ablösbar ist durch Unikatsprozesse.” Die Frage werde entscheidend sein, inwieweit die Konsumenten in die Lage versetzt werden, sich diese hochindividualisierten Produkte zu gestalten. Bei der Beantwortung dieser Frage haben die Verkaufsportale im Internet eine große Bedeutung. “Auch spielen ethische Fragen wie Löhne, Arbeitsschutz oder Brandschutz bei der Entscheidung der Konsumenten für oder gegen ein bestimmtes Produkt eine immer wichtigere Rolle. Dieser Trend wird vermutlich weiter zunehmen,” so Jendryschik. Einzig die Produktion von Grundstoffen wird wohl von der Individualisierung unberührt bleiben. Doch schon der nächste Bearbeitungsschritt könnte individualisiert erfolgen. Die Herstellung von Orangensaft wird auch im Zeitalter von Industrie 4.0 ein Massenprozess sein. Der nächste Schritt jedoch, also die Frage, was daraus gemacht wird, könnte bis auf den Einzelkunden hinunter individualisiert werden. Das geht weit über die Wahl der Verpackungsart oder der Konservierung hinaus. Auch wenn uns der Gedanke heute noch befremdet: Es gibt ganz konkrete Ideen, diesem Orangensaft auf der Grundlage von Nährstoffanalysen des Blutes von Menschen ganz gezielt Nahrungsmittelzusätze oder Medikamente zuzusetzen, die genau auf deren Ernährungsgewohnheiten bzw. Krankheiten abgestimmt sind.

B2C wird zu C2B

Bei der Entwicklung hin zur Industrie 4.0 trifft Jendryschik eine klare Unterscheidung zwischen dem B2B- und dem B2C-Segment: “Große Internetshops, wie wir sie aus dem B2C-Markt kennen, können aufgrund ihres großen Kundenstamms und der sehr genauen Kenntnisse über das Konsumverhalten ihrer Kunden sehr genaue Erwartungsprofile erstellen. Daraus können sie Produkte ableiten. Das wird es im B2B-Bereich so schnell nicht geben.” Vielmehr gebe der Hersteller auch auf längere Zeit den Rahmen einer individuellen Konfiguration vor. Der Hersteller hat also einen Lösungsraum geschaffen, innerhalb dessen sich der Verwender der Produkte bewegen muss. Alles ist hier bereits vorgedacht. Das sei allerdings lediglich eine Produktkonfiguration und keine Hochindividualisierung: “Für mich ist die Produktkonfiguration die höchste Form der klassischen Fertigungsweise, aber sie ist keine Industrie 4.0. Die einfache Konfiguration wird für Produkte wie hochindividualisierte Kleidung nicht reichen, und zwar weder im Bezug auf die Größen noch auf das gesamte Design.” Jendryschik ergänzt hier ein Beispiel von Mercedes Benz: “Im Bereich der S-Klasse reichen die Möglichkeiten der Konfiguration aufgrund der individuellen Kundenwünsche dieses Segments nicht mehr aus, um den Anforderungen dieses Segmentes gerecht zu werden. Das hat Konsequenzen bis in die Fabrikorganisation hinein.”

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