Interview mit Mike Milinkovich, Eclipse Foundation

“Erst nutzen, dann beitragen”

Die Eclipse Foundation unterstützt weltweit Entwickler und Organisationen im Bereich Open Source Software. Ende Oktober traf sich die Community in Mainz zur Konferenz Open Community Experience (OCX). Unser Redakteur Marco Steber (IT&Production/INDUSTRIE 4.0 & IIoT-MAGAZIN) war ebenfalls vor Ort und sprach mit Mike Milinkovich, Executive Director der Eclipse Foundation, über Möglichkeiten und Herausforderungen im Bereich Open Source Software – in der Industrie und auch darüber hinaus.

open source handwritten with related word cloud on blackboard (Bild: ©cacaroot/stock.adobe.com)

(Bild: ©cacaroot/stock.adobe.com)

Mike Milinkovich: In der Industrie sowie in allen Branchen wird Software zunehmend zu einem Mechanismus, mit dem Unternehmen ihren Kunden einen Mehrwert bieten – egal, ob sie eine Druckmaschine oder eine Industriemaschine entwickeln. Es geht nicht mehr nur um die Mechanik oder die Elektronik, die in dieser Maschine steckt, sondern darum, Nutzern Funktionen zu bieten, die für sie einen Mehrwert darstellen. Der größte Teil der implementierten Software dient allerdings der Funktion des Systems.

Anwender erhalten dadurch keine besonderen Features: Beispielsweise braucht so gut wie jeder Rechner einen TCP/IP-Stack, und viele Maschinen einen Bluetooth Stack. Mit Open Source erhalten sie einen Mechanismus, der einen Großteil dieser Infrastruktursoftware bereits abdeckt. Und das ist der Grund, warum Open Source als Wirtschaftsmodell so erfolgreich ist. Wenn 90 Prozent der Software bereits entwickelt wurde, können sich Unternehmen auf die Entwicklung der verbleibenden zehn Prozent konzentrieren und damit einen Mehrwert für die Anwender schaffen. Im IT-Sektor ist Open Source daher sehr erfolgreich.

Und darüber hinaus? 

Milinkovich: Niemand wird von ‘Wir nutzen kein Open Source’ zu ‘Wir nutzen nur noch Open Source Software’ gehen. Wir sehen aber, dass Unternehmen durch einen Reifeprozess gehen und kleine Schritte machen. Was dann passiert, ist, dass Unternehmen auch selbst etwas beitragen. Wenn sie beispielsweise eine Open-Source-Komponente nutzen und ihnen ein Fehler auffällt oder ein Feature fehlt, dann können sie das Problem zwar für sich selbst lösen. Wenn die Komponente allerdings aktualisiert wird, muss die eigene Entwicklung wieder angepasst werden. Das kostet Zeit und Geld. Also gilt: Erst nutzen, dann beitragen.

Kürzlich haben Sie die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) bekanntgegeben. Welches Ziel hat diese Kooperation? 

Milinkovich: Open Source und offene Standards gehen Hand in Hand und ergänzen sich gegenseitig. Open Source zeichnet sich durch Zusammenarbeit und Innovationsfindung aus. Offene Standards sorgen für Stabilität, Kompatibilität und Langlebigkeit. Das absolut beste Szenario ist die Implementierung eines bekannten Standards als Open Source Software. Unsere Zusammenarbeit mit DIN wird sich der bevorstehenden Umsetzung des Cyber Resilience Acts und weiteren Cybersicherheits-Standards widmen.

Sie haben den Cyber Resilience Act (CRA) angesprochen. Inwieweit beeinflusst dieser Ihre Arbeit?

Milinkovich: Die Beweggründe hinter dem CRA sind gut, aber es gab zu Beginn ein grundlegendes Missverständnis in der Beziehung zwischen Open-Source-Projekten, der Open-Source-Community und der Software-Industrie. Open-Source-Entwicklern wurde viel auferlegt, denn viele Projekte sind rund 30 Jahre alt und auch deren Betreuer werden älter. Hinzu kommt, dass Entwickler, wenn sie etwas Interessantes bauen, zuerst ihr eigenes Problem lösen wollen. Jedoch haben auch andere Menschen das gleiche Problem – das Projekt wird Open Source. Als einzelner Entwickler hat man keine Kontrolle darüber. Die Regulierungsbehörden haben diese Dynamik nicht wirklich verstanden. Hier haben wir – gemeinsam mit anderen Organisationen – jedoch viel Aufklärungsarbeit geleistet und am Ende eine gute Position erreicht.

Mike Milinkovich, Executive Director der Eclipse Foundation, während seiner Keynote auf der OCX 2024 in Mainz.

Mike Milinkovich, Executive Director der Eclipse Foundation (Bild: Eclipse Foundation)

Die Eclipse Foundation ist vor einigen Jahren nach Europa umgezogen. Welche Unterschiede sehen Sie in Sachen Regulierung zwischen beiden Standorten?

Milinkovich: Europa ist hier ein wenig voraus, aber ich denke, dass es auch in den USA mehr Regulierung geben wird. Es ist eine Frage des Timings, nicht des Ausmaßes. Die Herangehensweisen sind jedoch andere: In Europa ist es üblich, eine Verordnung auf europäischer Ebene zu erlassen, an die sich alle Nationalstaaten halten müssen, sodass es eine einheitliche Regelung für den gesamten gemeinsamen Markt gibt. In den USA ist es üblicherweise so, dass nicht ganze Branchen reguliert werden. Es werden Vorschriften erlassen und wenn ein Unternehmen ein Produkt an die US-Regierung verkaufen will, muss es sich daran halten. Die USA nutzen hier die enorme eigene Kaufkraft, um Einfluss zu nehmen.

Woran aber alle interessiert sind, ist sicherzustellen, dass Vorschriften und Standards nicht völlig unterschiedlich sind. Denn wenn man sich auf dem amerikanischen Markt an andere Regeln halten muss als in Europa, hat niemand etwas davon. Das gilt auch für die Verbraucher, die wir hier letztlich zu schützen versuchen.

Wo sehen Sie aktuelle Herausforderungen für die Entwicklung und den Einsatz von Open Source Software?

Milinkovich: Ein Problem ist, dass Betreuer in vielen Open-Source-Projekten an ihre Grenzen kommen. Oft werden diese von ein oder zwei Personen gepflegt – sogar als eine Art Hobby. Interessanterweise hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem ‘Sovereign Tech Fund’ ein Programm zur Förderung und Absicherung von Open-Source-Basistechnologien aufgelegt. Im Grunde verschafft dieser den Entwicklern Zeit, um an ihren Projekten zu arbeiten. Eine weitere Herausforderung ist das ‘Streben nach Professionalisierung’. Zwar sind wir als Eclipse Foundation sehr daran interessiert. Es gibt jedoch einen Punkt, an dem der Drang zur Perfektion beginnt, hinderlich zu werden.

Wir müssen hier aufpassen, dass wir die einzelnen Entwickler nicht aus den Augen verlieren, denn diese treiben Innovationen voran. Auch könnten geopolitische Entwicklungen zu einer Herausforderung werden. Aktuell gibt es zwar keine Hindernisse für die freie Verbreitung von Open Source Software in der Welt und wir hoffen, dass das auch so bleibt. Es gibt jedoch eine Neigung zur Bildung von Barrieren zwischen verschiedenen geopolitischen Akteuren.

Und wie schätzten Sie die Open-Source-Entwicklung in den nächsten Jahren ein? 

Milinkovich: Open Source ist bereits sehr verbreitet und ich bin überzeugt, dass seine Reichweite weiterhin wachsen wird. Auch glaube ich, dass Europa Möglichkeiten hat, Open Source noch mehr zu nutzen als bisher. Die Softwareindustrie in Europa war bisher nicht so erfolgreich wie in den USA oder China. Eine Möglichkeit sehe ich etwa im Bereich AIoT (Artificial Intelligence of Things). Denn in Europa war man historisch gesehen immer sehr gut darin, physische Dinge zu bauen. Hier gilt es, Open Source Software einzusetzen und einen First-Mover-Vorteil zu nutzen.

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