Interview mit Dr. Martina Frost

Die Digitalisierung macht auch vor Führungskräften nicht halt: Darüber, welche Veränderungen auf die Unternehmungsführung zukommen und über die Ergebnisse des Experten-Workshops ‘Prävention 4.0’ hat das INDUSTRIE 4.0-MAGAZIN mit Dr. Martina Frost (Bild), Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für angewandte Arbeitswissenschaft und Leiterin des Forschungsprojektes ‘Prävention 4.0’, gesprochen.

Frau Dr. Frost, wie beeinflusst die Digitalisierung den Arbeitsalltag von Führungskräften?

Die Kernaufgabe von Führung wird es weiterhin sein, zielgerichtet Einfluss auf die geführten Personen zu nehmen, um eine zuvor festgelegte Aufgabe bzw. ein Ziel zu erreichen. Die Veränderung liegt eher in der Art und Weise wie geführt wird. Dies bedeutet, es werden sich die Kompetenzen von Führungskräften, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen verändern. Je nachdem, wie eine Führungskraft bisher geführt hat, kann dies daher eine größere oder geringere Veränderung des persönlichen Führungsverhaltens bedeuten. Nach Meinung der befragten Experten nehmen die Relevanz der IT-Kompetenzen, des ganzheitlichen und prozessbezogenen Denkens, der sozialen Kompetenzen sowie der Selbstregulation zu. Führungskräfte, die also bereits im Alltag mit den neuen Technologien (Smartphone, Navigationsgerät etc.) umgehen und eine Affinität zur Nutzung besitzen, mit ihren eigenen Ressourcen (z.B. gesundheitlich, materiell) eigenverantwortlich umgehen sowie gleichzeitig als Beziehungsmanager agieren, werden in Zukunft sehr wahrscheinlich stärker gefragt sein, als Führungskräfte die diese Fähigkeiten nicht aufweisen. Die Veränderung des Alltags für jede einzelne Führungskraft wird je nach Persönlichkeit, Aufgabe, Position und Branche genauso unterschiedlich sein, wie die neuen technischen Lösungen der Digitalisierung selbst.

Auf Veränderungen des Arbeitsalltages sind, laut einer Umfrage im Rahmen des Workshops (Prävention 4.0), 58 Prozent der Führungskräfte nicht vorbereitet – was genau bedeutet in diesem Zusammenhang ‘nicht vorbereitet’ und wie lässt sich das ändern?

Die Ergebnisse der Umfrage spiegeln die Wahrnehmung bzw. das Wissen von ca. 680 externen und internen Betriebsberatern des Verbands für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI), des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) und von Verbandsmitarbeitern der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie wider. Sie zeigen, ob die Berater von konkreten Maßnahmen zur Vorbereitung der Führungskräfte, wie zum Beispiel Schulungen, Trainings oder Informationsveranstaltungen in den Unternehmen wissen. Interessant wäre es zu erfragen, wieviel Prozent der Führungskräfte in den Unternehmen tatsächlich an Informationsveranstaltungen teilnehmen und wie viele davon selbst sagen würden, dass Sie sich auf den Wandel vorbereitet fühlen. Um Führungskräfte ausreichend vorzubereiten ist es aus meiner Sicht wichtig, Führungskräfte zu sensibilisieren, dass die Einführung der neuen Technologien nicht nur, wie bei der Einführung eines neuen Computerprogramms das Erlernen des Umgangs erfordert, sondern darüber hinaus ggf. eine Veränderung der eigenen Kompetenzen erforderlich ist. Dies kann zum Beispiel im Rahmen von Coaching, oder Weiterbildungen geschehen

Im Rahmen des Experten-Workshops haben Sie insgesamt sechs Themenfelder herausgearbeitet, können Sie kurz beschreiben, wie diese zustande kamen und wie sich die einzelnen Themenfelder verändern werden?

Zur Erarbeitung der Themenfelder erhielten die Fach und Führungskräfte zunächst eine inhaltliche Einführung. Es wurde erläutert, was eigentlich das wirklich Neue an den technischen Veränderungen im Rahmen von Industrie 4.0 ist, um zu einem gemeinsamen und einheitlichen Begriffsverständnis zu gelangen. Im Anschluss wurden in Kleingruppen folgende Fragestellungen zu den fünf zuvor vorgestellten technologischen Veränderungen bearbeitet:

“Welche Auswirkungen haben eine (1) höhere Verfügbarkeit von Daten, (2) Virtualisierung, (3) Vernetzung, (4) Echtzeit und (5) autonome, intelligente, dezentrale Steuerung auf die Führung?”

Die Ergebnisse wurden auf Metaplankarten festgehalten und auf Pinnwänden gesammelt. Eine anschließende Zusammenfassung zu Clustern ergab schließlich die sechs Themenfelder: Rolle der Führung, Entscheidung/Verantwortung, Umgang mit Daten, Unternehmenskultur, Veränderung von Aufgaben, Zusammenarbeit/Kooperation. Die ‘Rolle der Führung’ wird sich nach Aussage der Experten möglicherweise dahingehend verändern, dass die Führungskraft stärker die Funktion eines ‘Unterstützers/Enablers’ der Mitarbeiter übernimmt. In diesem Zusammenhang steht auch die ‘Veränderung von Aufgaben’. So wird administrativer Aufwand noch geringer und der Schwerpunkt wird eher das Beziehungsmanagement und nicht mehr so stark das reine Management sein. Aufgabe der Führungskraft ist es, eher die Prozesse und Kompetenzen der Mitarbeiter im Blick zu haben und z.B. Informationen und Ressourcen gezielt an Mitarbeiter weiterzugeben und zu verteilen, sodass diese als Team erfolgreich die Ziele des Unternehmens erreichen können. Bezogen auf das Themenfeld ‘Entscheidung und Verantwortung’ wird vermutlich mehr Verantwortung und damit auch Entscheidungskompetenz in die Teams verlagert werden. Der ‘Umgang mit Daten’ wird sich für die Führungskräfte dahingehend wandeln, dass diese deutlich mehr Daten in Echtzeit zur Verfügung haben werden. Es stellt sich also die Frage, der Transparenz und des Datenzugangs. Wer bekommt wann welche Daten (Mitarbeiterdaten, Maschinendaten, Prozessdaten) zur Verfügung gestellt? Die ‘Unternehmenskultur’ ist nach Aussage der Experten der ‘Nährboden’ für eine erfolgreiche Umsetzung der neuen Technologien. Dazu bedarf es einer Vertrauens- und adäquaten Fehlerkultur, um die Potenziale der Transparenz von z.B. Leistungsdaten nutzen zu können. Die ‘Zusammenarbeit/Kooperation’ wird sich dahingehend verändern, dass Führungskräfte noch stärker als bisher mit Mitarbeitern und Kunden kommunizieren müssen. Dabei nehmen die Quantität der Kommunikationsmöglichkeiten und -wege und auch die Möglichkeiten zu Vernetzung und die Geschwindigkeit der Kommunikation zu. (mst)

Das könnte Sie auch interessieren

Der Fachkräftemangel erfordert einen möglichst intelligenten und flexiblen Personaleinsatz. KI spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Industriesoftware-Spezialist Augmentir zeigt sechs Ansatzmöglichkeiten auf.‣ weiterlesen

Das Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW), ein Mitglied des Vereins SEF Smart Electronic Factory, hat in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk der hessischen Wirtschaft (BWHW) und dem SEF-Mitglied Bosch Rexroth einen Industrie-4.0-Zertifizierungslehrgang entwickelt.‣ weiterlesen

Riverbed hat 1.800 Führungskräfte zu ihren Ansichten über neue Arbeitsformen, die wachsende Rolle der IT und ihre Strategien für die Digital Employee Experience befragt. Christian Siemann von Riverbed stellt die Ergebnisse vor.‣ weiterlesen

Zwischen 2023 und 2024 streben insgesamt 224.000 Mittelständler Nachfolgeregelungen für ihr Unternehmen an. Laut KfW Research wird dieser Wert bis Ende 2027 626.000 Unternehmen steigen. Die Studienautoren gehen davon aus, dass Schwierigkeiten bei der Nachfolgesuche zunehmen.‣ weiterlesen

Die Kunststoffproduktion kann komplexe Formen und umfangreiche Workflows annehmen. Sind die Ansprüche an Reporting und Schichtplanung eher einfach, kann eine Verwaltung auf Papier und per Excel noch gut funktionieren. Soll aber beispielsweise eine Automotive-Produktionslinie digitalisiert werden, spielen der Digitalisierungsgrad und die Kommunikationsmöglichkeiten jeder einzelnen Maschine eine große Rolle - Papier ist da eher hinderlich. Der folgende Beitrag gibt Tipps, wie dieser Umstieg gelingen kann.‣ weiterlesen

Texte, die von einer künstlichen Intelligenz geschrieben wurden, sind leicht zu erkennen? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein, wie ein gemeinsames Forschungsteam der Hochschule Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz herausgefunden hat.‣ weiterlesen

Was können sogenannte Lernfabriken 4.0 für die Weiterbildung von Fachkräften leisten? Sehr viel – wenn Lehrkonzepte und Rahmenbedingungen stimmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).‣ weiterlesen

Laut International-Innovation-Barometer des Beratungsunternehmens Ayming ist Deutschland ein beliebter Standort für Investitionen für Forschung und Entwicklung. Die Untersuchung zeigt zudem, dass Expertise wichtiger ist als Geld.‣ weiterlesen

Im Rahmen der Initiative ’Mission KI’ der Bundesregierung entstehen zwei KI-Zentren, eines davon in enger Kooperation mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Gründer, Startups und Unternehmen sollen dort Zugang zur Spitzenforschung erhalten und ihre Anwendungen in Testumgebungen verbessern können.‣ weiterlesen

Nachhaltigkeit ja, nur wie? Eine Lünendonk-Studie zeigt, dass viele Industrieunternehmen zwar eine Strategie haben, die Umsetzung dieser allerdings vielerorts noch stockt. Die Erwartungen an die Unternehmen werden jedoch nicht kleiner.‣ weiterlesen

Lieferkettenstörungen sind eine Belastung für Industrieunternehmen, die bis hin zum Produktionsstillstand führen können. Dies war im vergangenen Jahr an 32 Tagen der Fall. Um sich diesem Problem entgegenzustellen, will die Mehrheit der Unternehmen auf die Diversifizierung der Lieferketten setzen.‣ weiterlesen