Ein Gastbeitrag von Jens Nachtwei

Psychologische Begleitung in der digitalen Transformation

Jens Nachtwei forscht und lehrt unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Bereichen Ingenieur- und Organisationspsychologie. In seinem Gastbeitrag wirft er einen Blick auf das Spannungsfeld der digitalen Transformation und den sich daraus ergebenden psychologischen Auswirkungen auf Beschäftigte.

Die Entwicklung des Menschen vom Laufen lernen bis zur Digitalisierung der Arbeit.

Beschäftigte werden mit den heutigen Entwicklungen oft vüberfordert, während ihnen gleichzeitig eine Schlüsselrolle im Wandel zugeschrieben wird – Bild: ©Chan2545/stock.adobe.com

Beschäftigte erleben eine tiefgreifende Transformation. Künstliche Intelligenz ist nicht mehr nur Tool, sondern entwickelt sich zunehmend zum Kollegen bzw. Konkurrenten. Das ruft die Psychologie auf den Plan: Erleben und Verhalten von Beschäftigten dürfen im Diskurs nicht übersehen. Management und HR sind gefragt, Beschäftigte psychologisch gut durch diese Transformation begleiten.

Transformation: zwischen Anpassung und Angst

Die Digitalisierung in ihrer aktuellen Ausbaustufe KI bringt für Beschäftigte immense Unsicherheiten mit sich. Zunehmend zeigt sich, dass eine diffuse Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung allgegenwärtig ist. Konkrete Furcht vor technologisch bedingter Arbeitslosigkeit ist kein neues Phänomen, jedoch inzwischen prominenter als je zuvor in der Geschichte der Arbeit. Diese Furcht wirkt nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf das allgemeine Wohlbefinden. Besonders in Tätigkeiten mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit zeigen Mitarbeitende erhöhte Stresssymptome bis hin zu chronifizierten Gesundheitsproblemen. Immerhin ist algorithmisches Management inzwischen Realität und keine Science Fiction mehr. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie sich kontinuierlich weiterbilden, digitale Kompetenzen erwerben und flexibel auf neue Technologien reagieren.

Doch wie soll ein Mensch, der unter massivem Anpassungsdruck steht, gleichzeitig die Energie für die eigene Weiterbildung und Job Crafting aufbringen? Hier zeigt sich das erste große Dilemma der digitalen Transformation: Beschäftigte werden überfordert, während ihnen gleichzeitig eine Schlüsselrolle im Wandel zugeschrieben wird.

Das Paradoxon der digitalen Autonomie

Ironischerweise wird die digitale Transformation oft mit Versprechen von mehr Autonomie beworben. Doch wie passt das zu den Erfahrungen der Beschäftigten? “Digitale Selbstbestimmung” steht häufig im Widerspruch zu “Digitalem Taylorismus”, einer immer kleinteiligeren Überwachung und Steuerung durch Algorithmen. Beschäftigte fühlen sich zunehmend überwacht und fremdbestimmt, was nicht nur ihre Motivation mindert, sondern auch die Identifikation mit ihrem Arbeitsplatz gefährdet.

Dieses Spannungsfeld zwischen Versprechen und Realität verdeutlicht, wie wichtig psychologische Begleitung in diesem Kontext ist. Denn ohne das Gefühl von Kontrolle und Mitbestimmung werden viele Mitarbeitende den digitalen Wandel eher als Bedrohung denn als Chance wahrnehmen. Und wer sich fürchtet, ist gelähmt – und das ist weder im Interesse des Einzelnen noch der Organisation oder der Arbeitsgesellschaft als Ganzes.

Das könnte Sie auch interessieren

Betriebsräte sehen konjunkturell leichte Verbesserungen, aber weiterhin keine Zukunftsstrategien der Arbeitgeber. Besonders hoch ist dieser Anteil in der Automobilindustrie.‣ weiterlesen

Laut einer aktuellen Bitkom-Studie können digitale Technologien den Fachkräftemangel lindern und Fehler in der Fabrikarbeit verhindern. 44 Prozent der Befragten sagen darin, dass Stellenkürzungen anderer Unternehmen helfen, die eigene Fachkräftelücke zu schließen.‣ weiterlesen

Fast drei Viertel der deutschen Arbeitnehmer sehen sich laut einer Sharp-Studie nicht in der Lage, eine Cyberbedrohung am Arbeitsplatz zu erkennen und zu stoppen. Sie befürchten, durch den vermehrten Einsatz von KI am Arbeitsplatz mehr sicherheitsrelevante Fehler zu machen.‣ weiterlesen

Im Oktober vergangenen Jahres nahm die German UDS ihren Studienbetrieb auf. Nun ist die vollständig digitale Universität auch staatlich anerkannt. Die Kurse und Studiengänge befassen sich mit den Themen künstliche Intelligenz, Cybersecurity und digitale Transformation.‣ weiterlesen

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt, gleichzeitig suchen viele Unternehmen dringend Fachkräfte. Bei Fachkräften mit Berufsausbildung hat sich die Arbeitslosigkeit in den vergangenen zehn Jahren am besten entwickelt, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. ‣ weiterlesen

Im Maschinen- und Anlagenbau suchen viele Unternehmen nach wie vor mit großem Einsatz nach geeigneten Fachkräften. Dies ist eine bedeutende Herausforderung, weil die Zahl der Nachwuchskräfte sowohl in der beruflichen Bildung als auch in akademischen technischen Berufen sinkt. Hinzu kommt, dass durch die demografische Entwicklung die Lücke zwischen verfügbaren Fachkräften und betrieblicher Nachfrage mittelfristig größer wird. In den für den Maschinen- und Anlagenbau relevanten Berufsgruppen blieben im letzten Jahr 9 Prozent der angebotenen Ausbildungsstellen unbesetzt.‣ weiterlesen