Mangel an Softwarekompetenz und Fehlerkultur

Die eigene Firma als erste Hürde

Das Internet der Dinge bringt physische und digitale Welten zunehmend zusammen. Schon längst geht es nicht mehr nur um die pure Vernetzung von Geräten, sondern um Systeme, die Menschen, digitale Lösungen und Objekte aus der realen Welt verknüpfen.

(Bild: ThoughtWorks)

IoT bietet insbesondere im Engineering- und Manufacturing-Bereich großes Potenzial, Produktinnovationen voranzutreiben, Kosten zu senken und die Qualität zu erhöhen. Dennoch bleibt insbesondere in Unternehmen des gewachsenen Mittelstandes die große Transformation zu neuen Geschäftsmodellen noch aus. Die Gründe hierfür sind oft in den Unternehmen selbst zu finden.

Streben nach der Plattform

Oft treibt Unternehmen der Wunsch nach einer unternehmenseigenen IoT-Plattform an, die viele Geräte anbindet und unterschiedliche Geschäftsprozesse unterstützt. Auch werden häufig langfristige technische Visionen skizziert. Wird jedoch in der Umsetzung zu sehr auf das große Ganze hingearbeitet, kommt es oft zu langen Projektlaufzeiten ohne Produktiveinsatz und zu überabstrahierten Lösungen.

In dieser Situation hilft es, den Fokus auf erste Ende-zu-Ende-Anwendungsfälle zu legen und diese in Produktion zu bringen. Die treibenden Fragen sollten sein: Wie kann eine Vernetzung von Geräten dem Unternehmen schnellstmöglich einen Vorteil bringen? Was ist die einfachste Vorgehensweise, dieses zu erreichen? So können Annahmen validiert und notwendige Anpassungen im Projekt eingearbeitet werden. Die Organisation lernt und generiert neue Ideen. Wichtig ist dabei: Ein sichtbarer, wenn auch kleiner Return-on-Investment erleichtert es, die Beteiligten von guten Ideen zu überzeugen.

Schmales Know-how in der Softwareentwicklung

Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe besitzen oft geringe Kapazitäten in der Softwareentwicklung. Das Knowhow fokussiert sich dort meist auf hardwarenahe Technologien. Der Aufwand für Softwareupdates von nicht vernetzten Geräten und notwendige Zertifizierung resultieren oft in einem Wasserfall-Entwicklungsprozess. Die Implementierung eines eigenen Ökosystems verlangt zusätzlich den Umgang mit unterschiedlichen Technologien wie IoT-Protokolle, Cloud-Services oder web-basierte Applikationen.

Die Mitarbeiter sollten genügend Zeit haben, Erfahrungen mit diesen Technologien zu machen. Um fehlende Qualifikationen von außen in das Unternehmen zu bringen, bedarf es auch Veränderungen im Recruiting, nicht nur bei den Beschreibungen der Stellenanzeigen, sondern auch im Interviewprozess selbst. Oft haben diese Themen im Tagesgeschäft keine Priorität.

Auch der Entwicklungsprozess der Software bedarf Anpassungen, um die unterschiedlichen Komponenten einer eigenen digitalen Systemwelt effizient zu realisieren. Es bleibt meist bei einer oberflächlichen Anwendung von agilen Projektmanagementmethoden wie Scrum. Dann lassen sie Ergebnisse oft zu wünschen übrig und diese Methoden werden schnell als nutzlos eingestuft. Hier hilft es, weitere Ansätze moderner Softwareentwicklung wie Extreme Programming oder Continuous Delivery einzusetzen.

Leitbild und Verantwortlichkeit bestimmen

Um ein erfolgreiches Ökosystem umzusetzen, muss das Knowhow aus vielen Bereichen eines Unternehmens zusammenkommen. Produktdesign, IT-Infrastruktur, Hardware- und Softwareentwicklung, sowie weitere Fachbereiche wie der Kundensupport, Produktion oder After-Sales müssen kollaborieren.

In klassischen Organisationsstrukturen sind die einzelnen Bereiche klar voneinander getrennt. Mitarbeiter haben unterschiedliche Vorgesetzte, Bereichsziele, Budgets und Zeitpläne. Die notwendige Zusammenarbeit wird meist erkannt, aber inkonsequent umgesetzt. Die Folge sind eine Reihe von Workshops mit vielen Teilnehmern und Projektteams, deren Mitglieder nur zeitweise zur Verfügung stehen. Die Ergebnisse sind dann skizzenhaft, abstrakt und ohne klaren Fokus. Die Umsetzung des Projektes wird erschwert durch Abhängigkeiten von einer Vielzahl von Abteilungen. Auf technischer Ebene kommt der Effekt von Conway’s Law zum Tragen, dass also Architektur und Kommunikation des digitalen Systems durch die Organisationsstruktur bestimmt wird und nicht von einem technischen Leitbild.

Die Lösung des Problems liegt darin, interdisziplinäre Teams zu bilden. Nur wenn diese Teams alle notwendigen Fähigkeiten und Entscheidungsbefugnisse besitzen, können sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Hierfür müssen die Mitglieder aus ihren bisherigen Bereichen herausgelöst werden und ausschließlich am Erfolg des neuen Teams gemessen werden.

Kaum Fehlerkultur

Um die Vorteile eines IoT zu nutzen, müssen sich die meisten Fertigungsunternehmen deutlich verändern. Ein Wandel bei den Produkten und Dienstleistungen, in der Arbeitsweise und in den verwendeten Technologien sind häufig unerlässlich. Gerade im produzierenden Gewerbe lässt sich dieser Wandel schwer realisieren. Das Risiko von kostenintensiven Rückrufaktionen und gar Gefahren für Menschen sind nicht akzeptabel. Vorgehen müssen kugelsicher sein.

Diese Haltung ist in den Unternehmen fest verankert und prägt die Kultur sogar in Bereichen, in denen die Risiken ganz anders gelagert sind. Eine unternehmensweite IoT-Strategie lässt sich kaum vorab auf dem Reißbrett ausarbeiten und dann fehlerfrei umsetzen. Offenheit, Fehlerkultur, inkrementelle Veränderungen und kurze Feedback-Zyklen sind unumgänglich. Sie stellen keinen Widerspruch zu Qualität und Sicherheit dar, sondern begünstigen diese.

Es gibt kein Patentrezept, um eine solche Veränderung in der Kultur von Unternehmen zu realisieren. Vielmehr muss der Wandel durch stetige Initiativen untermauert werden. Dies kann zum Beispiel darin bestehen, sichere Umgebungen zum Lernen zu schaffen, klare Ziele zu kommunizieren und Feedback nicht zur Bewertung, sondern zur Verbesserung zu nutzen. Das fängt schon bei der Sprache an: Statt einen Satz destruktiv mit ‚Das geht nicht, weil…‘ zu beginnen, ließe sich mit der Formulierung ‚Wie können wir erreichen, dass …‘ eine Problemlösungsroutine anstoßen. Solche Effekte helfen weit über die IoT-Problematik hinaus.

Raum für neue Champions

Viele Unternehmen gehen davon aus, dass der Erfolg eines Internet of Things eine technische Frage sei, die es zu beantworten gelte. Doch der Fokus auf Anwendungsfälle, das Erlernen von moderner Softwareentwicklung, interdisziplinäre Teams und eine offene Kultur des Lernens sind Prinzipien, die den Erfolg stärker vorantreiben, als große Investitionen. Somit können sich selbst Firmen mit begrenzten Ressourcen spannende Chancen erarbeiten.

 

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