Retrofit-Anwendungsszenarien

Altsysteme Industrie 4.0-tauglich machen

In der Regel beginnen Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Produktion nicht auf der grünen Wiese. Viel eher geht es um die Umrüstung und Einbindung verschiedenster Legacy-Systeme in digitalisierte Workflows. Der Schweizer Data Science-Spezialist LeanBI hat sechs exemplarische Anwendungsszenarien und die positiven Effekte von Retrofit identifiziert.

(Bild: ©auremar/stock.adobe.com)

Wenn es um die Digitalisierung der Produktion geht, ist die Einbindung von Altsystemen eine Herausforderung. Denn diesen fehlen oftmals zwei wichtige Voraussetzungen: die Sensorik zur Erfassung von Daten und die Datenschnittstellen zu deren Weiterleitung. Ohne diese Fähigkeiten aber sind die Optimierung von Planung und Umrüstzeiten, die Steigerung von Performance und Verfügbarkeit, die Verbesserung von Qualitäts-Tracking und -Tracing sowie die Umsetzung von Predictive Maintenance nicht möglich. Beim Retrofitting geht es also darum, Altsysteme mit Sensor- und Steuerungstechnik zu bestücken – und das im laufenden Betrieb, ohne Break oder Downtime. Hinzu kommt, dass es sich oftmals um spezielle Einzelfälle handelt – ‘One size fits all’ ist bei Retrofit praktisch ausgeschlossen. Die sensorisch-kommunikative Nachrüstung erfordert also jeweils eine anwendungsbezogene Bestandsaufnahme und Machbarkeitsanalyse. Die möglichen Anwendungsszenarien für digitalen Retrofit sind dabei breit gefächert. LeanBI, Spezialist für Data-Science-Anwendungen, beschreibt sechs Szenarien für den praktischen Einsatz und die potenziellen positiven Effekte.

  • •  Intralogistik: Der Online-Handel führt zu einer Steigerung der Versandvolumen und damit zu einer hohen Auslastung der Logistikanlagen, die mit diesem Wachstum auch aufgrund ihrer (teil-)analogen Struktur oft nicht Schritt halten können. Zusätzliche Gebäude oder Anlagenkomplexe sind jedoch nicht so rasch realisierbar wie ein Retrofit bestehender Anlagen. Dies ist zudem kostengünstiger und ressourcenschonender.
  • •  Montagelinien: Für viele Produktanbieter, wie Automobilzulieferer oder Fahrradhersteller, wird das Einhalten von Lieferzeiten durch die hohe Nachfrage bei gleichzeitig wachsender Variantenvielfalt zur Herausforderung. Bei kleinen Ausfällen in der Produktionskette steht die komplette Anlage, Liefertermine können nicht eingehalten werden und sogar Strafen drohen. Die Erkennung möglicher Ausfälle durch Predictive Maintenance, wird durch Retrofitting ermöglicht.
  • •  Verpackungsindustrie: Ähnliches gilt für die Verpackungsindustrie, bei der viele Maschinen seriell geschaltet sind. Steht eine Maschine, steht die ganze Linie. Mit Predictive Maintenance können sowohl Störungen als auch geplante Eingriffe reduziert werden. Zusätzlich ermöglicht der Retrofit den Einsatz von Sensorik zur laufenden automatisierten Überprüfung der Verpackungsqualität unterschiedlicher Produkte, und reduziert somit Ausschussraten.
  • •  Metallproduktion: Bei der Herstellung von Metallprodukten, wie beispielsweise Röhren, Komponenten oder Karosserieteilen, ist es wichtig, Qualitätsschwankungen im Prozess frühzeitig zu erkennen. Je mehr Online-Sensorik eingesetzt wird, desto reaktiver kann die Prozesskontrolle gestaltet werden. Zudem ist dadurch die durchgängige Nachverfolgbarkeit über den gesamten Prozess gegeben. Auch hier hilft die Kombination von dezentraler Datenaufnahme und zentraler Datenanalyse bei der Ausschussreduktion.
  • •  Oberflächenbearbeitung: Durch den Einsatz zusätzlicher Sensorik und kombinierter Analytik können Verschleißzeiten bei Bearbeitungswerkzeugen besser prognostiziert werden. Das optimiert die Abläufe gleich mehrfach: Hochbeanspruchte Komponenten bei der Oberflächenbehandlung können länger eingesetzt werden und der Materialverbrauch wird ebenso reduziert wie die Downtime-Zeiten.
  •   Elektronikproduktion: Durch Retrofit können hochkomplexe, KI-unterstütze Prüfmethoden für die frühzeitige Erkennung von Komponentenausfällen im Produktionsprozess eingesetzt und die Produktivitätsraten dadurch gesteigert werden. Sie helfen auch dabei, seltene Spezialprobleme besser zu verstehen und beheben zu lernen.

Digitaler Retrofit sei eine wichtige Voraussetzung und ein Wegbereiter für die Industrie 4.0, erklärt Marc Tesch, CEO von LeanBI. “Ohne diese nachhaltige Modernisierungs-Technologie wären viele wertvolle und teilweise unverzichtbare Legacy-Systeme, Produktionsstätten und Liegenschaften für die digitale Zukunft verloren, samt den damit verbundenen immensen Wertverlusten und dem Ressourcen-Raubbau für teure, zeitraubende Neu-Installationen.”

 

Das könnte Sie auch interessieren

Patentanmeldungen im Bereich der additiven Fertigung (3D-Druck) sind zwischen 2013 und 2020 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 26,3 Prozent gestiegen. Wie das Europäische Patentamt weiter berichtet, wurden seit 2001 weltweit mehr als 50.000 bedeutende Erfindungen im Zusammenhang mit 3D-Druck-Technologien als internationale Patentfamilien (IPF) veröffentlicht. ‣ weiterlesen

Der Anteil der Unternehmen, die KI einsetzen, ist binnen eines Jahres von 9 auf 15 Prozent gestiegen. Das ist das Ergebnis einer Bitkom-Befragung unter 605 Unternehmen. Zwei Drittel von ihnen sehen KI als wichtigste Zukunftstechnologie.‣ weiterlesen

Derzeit erleben wir multiple Krisen - neben zunehmenden geopolitischen Spannungen entwickelt sich die Erderwärmung zu einer immer größeren Herausforderung. Das Umweltbundesamt rechnet bis Ende des 21. Jahrhunderts mit einer Erhöhung der mittleren Erdtemperatur um bis zu 5,7 Grad Celsius, sofern nicht kurzfristig eine massive Reduktion der CO2-Emissionen erfolgt. Wie der CO2-Fußabdruck dabei unterstützen kann, beschreibt ein Beitrag des Beratungsunternehmens Aflexio.‣ weiterlesen

Mit bestehenden Geothermiebohrungen im Oberrheingraben könnte zuverlässig Lithium gefördert werden. Das zeigen aktuelle Datenanalysen von Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Frisches Tiefenwasser sorgt über mehrere Jahrzehnte für Nachschub. ‣ weiterlesen

Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit für den Industriesektor Hand in Hand? Dies kann Realität werden. Das kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt 'Climate Solution for Industries' (CS4I) unter Beteiligung des Fraunhofer IPA setzt bereits bei Investitionsentscheidungen an und widmet sich dem 'True Carbon Footprint'.‣ weiterlesen

Viele Anlagen und Rechner in der Industrie sind smart - so viel ist klar. Sie können sehen, hören und sprechen. Dass sie technisch nun auch riechen können, ist deshalb nicht verwunderlich. Technologien wie die 'AI Nose' sollen die Konsumgüterindustrie noch intelligenter machen und Unternehmen dabei helfen, Wettbewerbsvorteile zu sichern und auszubauen.‣ weiterlesen

Alle Beschäftigten in der Industrie sollen zukünftig in der Lage sein, KI-Tools zu bedienen, neue Prüfanwendungen einzurichten und zu warten - ohne Expertenwissen. Das ist das Ziel des Forschungsprojekts 'DeKIOps'. Unter Leitung der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS wollen Senswork, Inovex und Eresult bis Ende 2025 Leitlinien und zwei Demonstratoren in industriellen Anwendungen entwickeln.‣ weiterlesen

Unternehmen reden viel über die möglichen Auswirkungen von KI- und ML-Anwendungen, aber oft wenig über deren Qualität. Und die hängt in erster Linie vom Dateninput ab. Der Datenspezialist Aparavi erklärt, wieso ein hochwertiges Dateninventar die Voraussetzung für eine sinn- und wertvolle KI- oder ML-Lösung ist.‣ weiterlesen

Mit einem messdatengestützten Retrofit-System können ältere Windkraftanlagen länger laufen. Im von Bachmann Monitoring und P. E. Concepts entwickelten System fließen erfasste Last- und Eigenfrequenzdaten in die Lebensdauer-Berechnung von Komponenten ein. Anhand dieser Daten lässt sich eine realistischere Restnutzungsdauer errechnen, um den rentablen Weiterbetrieb zu ermöglichen. ‣ weiterlesen

Viele Industrieunternehmen stoßen mit Ethernet und WLAN an ihre Grenzen. Denn für die Umsetzung von IIoT-Lösungen mit vernetzten Sensoren, Maschinen und anderen Geräten brauchen sie 5G-Netze. Doch noch zögern vor allem kleine und mittlere Unternehmen, in 5G zu investieren.‣ weiterlesen

Kontinuierliche Entwicklungen und zukunftsweisende Technologien treiben den Fortschritt der industriellen Kommunikation voran. Zu den Schlüsseltechnologien zählt Time-Sensitive Networking (TSN). John Browett, General Manager der CC-Link Partner Association (CLPA), erläutert, wie TSN die Voraussetzungen für den nächsten Schritt im digitalen Zeitalter schafft.‣ weiterlesen