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Industrielle Produktion im ‘New Normal’

Resilient und adaptiv

Wie sieht die Produktion im ‘New Normal’ aus? Anders als heute, denn die Krise sorgt dafür, dass die bisherige Effizienzmaximierung mit resilienten und adaptiven Produktionssystemen ergänzt werden muss. Die digitale Transformation kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

(Bild: Siemens AG)

Überall wird derzeit nach Möglichkeiten gesucht, das derzeitige ‘New Normal’ zu gestalten. Aber was passiert, wenn ein Impfstoff gefunden oder eine Behandlungsmöglichkeit besteht – ‘Business as Usual’? “Nein” – sagt der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx. Denn das ‘New Normal’, so Horx, bestehe nicht aus Plexiglasscheiben und Schutzmasken. Sondern aus einer neuen Konfiguration der Sozialsysteme auf allen Ebenen des menschlichen Zusammenlebens – auch der Wirtschaft. So manche gewohnte Erkenntnis werde dabei über Bord geworfen.

Effizienz um jeden Preis?

Für die Unternehmen galt bisher das klassische Wettbewerbsparadigma: Um erfolgreich im Markt zu bestehen, muss eine Firma entweder einen strukturellen Kostenvorteil realisieren (um damit seine Erzeugnisse günstiger als vergleichbare Wettbewerbsprodukte anbieten zu können) oder es muss für den gleichen Preis ein besseres Produkt liefern. In beiden Fällen ist es entscheidend, dass die Unternehmen ihre Effizienz im Blick behalten, denn auch das leistungsfähigere Angebot muss sich immer in Relation zum Preis behaupten. Zwar würde sich sicher jeder Anwender eine tagelange Akkulaufzeit bei Smartphones wünschen, aber wenn dieses Alleinstellungsmerkmal 10.000? kostet, wird die Käufergruppe arg klein sein. Effizienzzuwächse entstehen dabei unter anderem durch den sogenannten Erfahrungskurveneffekt. Dieses Modell formuliert, dass mit zunehmender Produktionsmenge die Stückkosten deutlich sinken. Eine Verdopplung des kumulierten Outputs, so das Modell, führe zu einer Kostensenkung von 20 bis 30 Prozent pro Stück. Die Produktionssysteme, konfiguriert aus Technologien und Organisationsmustern, folgen dieser strategischen Vorgabe der ‘maximalen Effizienz’. Aus diesem Grund wurde vor mehr als 100 Jahren die Fließbandfertigung eingeführt, ab den 1990er Jahren verstärkt die Produktion in Billiglohnländer als ‘verlängerte Werkbank’ ausgelagert, schließlich Just-in-Time als Logistikkonzept implementiert und immer effizientere (das heißt im Ergebnis kostengünstigere) Technologien zum Einsatz gebracht. Auch Wachstum ist ein entscheidender Faktor, da nur so die Kostensenkungen aus dem Erfahrungskurveneffekt schneller als beim Wettbewerber realisiert werden können – und nur durch die Umsetzungsgeschwindigkeit entstehen Wettbewerbsvorteile.

Verletzlich und fragil

Die Corona-Krise zeige jedoch, wie verletzlich und fragil die auf Effizienz maximierten Systeme sein können, so Horx. Just-in-Time funktioniert nur, solange die Transportwege und die nationalen Grenzen geöffnet sind. Die Verringerung der eigenen Fertigungstiefe und der Verzicht auf ‘Second Source’ zugunsten geringerer Kosten braucht einen Lieferanten, der nicht von virusbedingten Betriebsschließungen betroffen ist usw. Um auf Krisen besser reagieren zu können, braucht es also eine stärkere Balance zwischen Effizienz (das heißt Kostenminimierung) und Effektivität (was kommt tatsächlich am Ende heraus). Bei manchen Gütern war in der ersten Phase der Pandemie das klassische Wettbewerbsparadigma völlig unrelevant – es ging schlicht darum, überhaupt liefern zu können. Doch Corona steht dabei nur als Stellvertreter für Krisen aller Art – auch die globalen Herausforderungen wie die Vermüllung der Meere, die Erschöpfung natürlicher Ressourcen und der Klimawandel stellen das bisherige grundsätzlich in Frage.

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